Juni 2003



17.06.2003 Aus, vorbei!

    Gestern bin ich zum 5. Mal 28 geworden und wir sind nur noch 2 Tagesreisen von Deutschland entfernt. Immer noch dabei, uns mit dieser Situation anzufreunden. Ein bischen waren wir erleichtert, wieder europaeischen Boden unter den Fuessen zu haben. Gleichzeitig fuehlen wir uns aber wie Dinosaurier. Genau wie unser Laster, der prima in das afrikanische Strassenbild passte und nun staendig die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Palette reicht dabei von Jubel im Vorbeifahren bis zu voelligem Unverstaendnis, wenn man in einem scheisse-engen Pyrenaenkaff bergab auf der Bremse stehend das Lenkrad nicht mehr gedreht kriegt. Zum Glueck habe ich mir etwas vom afrikanischen Fahrstil mitgebracht. Wenn man wirklich will, hat auch hier der dickere Vorfahrt.

    Nun aber zu uns Dinos. Ihr macht euch kein Bild davon, wie bekloppt das hier alles ist. Hier stehen so viele Schilder, das wir doch lieber wieder nach Kompass fahren. Hier gibt es so viel zu kaufen, was doch keine Sau braucht. An allem und jedem hat irgendwer einen Besitzanspruch. Keiner hat Zeit. Und wir sollen uns darin integrieren? Noch haben wir keine Ahnung, was die Zukunft bringt. Erstmal brauchten wir jedoch Zeit fuer uns, fuers erste Abschied von Afrika zu nehmen. Der fing schon in Marokko an. Im Sueden war ich noch angenehm ueberrascht. Abgesehen von Quarzazate war bis Tinerhir noch alles so, wie ich es von der letzten Reise vor 7 Jahren in Erinnerung hatte.

    Selbst Achmet-lach net, ich find mei Sach net auf dem Campingplatz von Tafraoute war noch da. Auch Mohammed von Camping Atlas in Tinerhir hat mich wieder erkannt. Danach gings aber los: die Todra-Schlucht ist bestens asphaltiert. Mit dem Fahrrad war ich schneller oben als frueher mit dem Motorrad.



    Egal, nach dem Tizi n Test und dem Tizi n Tichka rennen wir zum 3. Mal gegen den hohen Atlas an. Trotz der Sicherheitsbedenken wollen wir ueber Imilchil fahren. Wie schon oefter, kriegen wir immerhin noch einen Teil des legendaeren Abenteuers mit. Ab Tamtatouchte am Ende der Schlucht geht es noch immer auf Piste ueber den 2700 m hohen Pass. Noch immer ist der richtige Einstieg schwierig zu finden und die kleinen Rotzloeffel gehen einem gehoerig auf den Geist.


    Leider ist der Umgang mit bettelden Kindern in Marokko tatsaechlich bloeder als in den anderen Laendern Westafrikas. Waehrend man den Mag im Geroellacker gerade so auf Kurs haelt, rennen die Kinder laut kraehend nebenher. Sie machen sich nicht mehr die Muehe, vorher hallo zu sagen und haben oft genug ihre kleinen Geschwister auf dem Ruecken. Erstaunlich, dass sich keines ums Rad gewickelt hat.
    Ueberall ist hier zu sehen, wie muehselig der Broterwerb in der Landwirtschaft ist. Maschinen gibt es keine und das Transportmittel ist das Maultier, hin und wieder mit Karren. Die Kinder verdienen mit der Bettelei schnell mehr als der Vater. Kein Wunder, das die Schulen nicht ueberfuellt sind. Irgendwann sind die Kleinen zu alt zum betteln und werden Touristenschlepper, was anderes haben sie nicht gelernt. Die Touristen, die sich ohne Gegenleistung von der vermeintlichen Belaestigung freigekauft haben, haben die Entwicklung zu dieser Situation erst ermoeglicht. Wir sind auch Touristen, scheisse!
    Am meisten hat mich genervt, dass die Eltern der Kinder am Wegesrand stehen und zusehen, wie sich die Kinder die Haxen brechen.

    Darauf angesprochen, verstehen die Alten ploetzlich gar nichts mehr und antworten mit einem Schulterzucken. Was solls, schliesslich aber sind wir freiwillig hier und lernen, auch mit dieser Situation umzugehen. Fuer uns persoenlich schwieriger wird es in den Skigebieten des Mittleren Atlas. Das gleiche Bild findet man sicher auch in Val d´ Isere, und wir erliegen wieder einmal einem Zeitsprung. Nur, dass der Sprung zurueck nicht moeglich ist. Die vermeintliche Zivilisation hat uns wieder.
    Eine kleine Insel finden wir noch am Rand des Rif-Gebirges, wo sich folgende Geschichte zugetragen hat:

    Der Barbier von Chefchauoen

    Haett ich mir nicht gedacht, dass ich mir mit sowas die Rosinen verdienen muss. Aber Lasse sah mit seinen langen Haaren, vor allem wenn sie Tage oder Wochen nicht gewaschen waren (kommt vor), schon arg grenzdebil aus. Also denkt sich Nike ein Spiel aus, bei dem man nicht viel den Kopf bewegen muss. Zopfi dann anne Schere. Fluppt, jetzt haben wir ein pfiffig aussehendes Kerlchen, dass sich richtig ueber seine neuen Haare freut.


    Die ersten Tage in Europa brauchen wir, um ein wenig Abschied von Afrika zu nehmen. Wir durchqueren Spanien mit dem Ziel Pyrenaeen. Dort und in den franzoesischen Seealpen wollen wir bleiben, bis wir zur endgueltigen Heimkehr einigermassen bereit sind. Ausserdem hat der Blick auf die Karte eine neue Idee geweckt. Hier finden wir all die dollen Anstiege und Paesse, die uns alljaehrlich bei der Tour de France vor dem Fernseher (stimmt, das gibts ja auch noch) kleben lassen.

    Und wir haben noch immer unsere Fahrraeder, die wir bei der Polizei fuer nen Appel und nen Ei ersteigert haben. So bekloppt es anderen Afrikafahren und Hobbyexporteuren erscheinen mag, wir haben fast alles wieder mitgebracht. Am Ende hat es richtig Spass gemacht. "No, merci. Pas de Buisiness, just Vacance. Hau endlich ab!"

    Also legen die klangvollen Bergetappen unsere weitere Route fest und immer mal wieder doedel ich einen von Kaesten rauf. Insgesamt sinds eine Hand voll geworden, auf die ein oder andere Art ist jeder von ihnen etwas Besonderes. Den Anfang macht mit 1209 Hoehenmetern der Col d` Aubisque. Die fuer mich ungewohnte, permanente Steigung ist respekteinfloessend. Ich habe Probleme mit meiner Schraub-Trinkflasche und die Griffgummis sind das Letzte. Der Sattel hat auf der Reise arg gelitten und abwechselnd schlafen mir Haende und Fuesse ein. Der Wiegetritt klappt auch nicht mehr so, wie ich es gerne haette. Durch das Fahren mit Lasse im Kindersitz habe ich es ein wenig verlernt. Ich probiere es trotzdem immer wieder, allein schon, um die Fuesse aufzuwecken. Auf den letzten Kilometern aber hat man einen herrlichen Blick ins Tal und auf die gegenueberliegende Berggruppe. Oben angekommen, ist es klasse. Nach kurzer Pause und mit einem warmen Pulli geht es wieder runter. 21 km Abfahrt. Geilomat und Lust auf mehr.


    2 Tage spaeter kommt der Tourmalet. Auf 18 km sind 1365 Hoehenmeter zu bewaeltigen. So kurz nach dem Aubisque faellt der Vergleich der beiden Anstiege schwer. Unten merke ich es sofort in den Beinen, weia! Allerdings habe ich jetz eine richtige Trinkflasche und Lenkerband, mit denen ich prima zurecht komme. Ein kurzes Flachstueck auf halber Hoehe macht den Tourmalet etwas angenehmer als den Aubisque, doch ab etwa 1700 m Hoehe gibts neue Probleme. Normalerweise waeren hecheln und dicke Beine angesagt, jetzt geht der Puls hoch und pocht im Hals. Respekt. Nach einer Weile finde ich ein neues Arbeitstempo und mitten durch eine Wolke geht es auf die letzten 2 km. Gemein, die mittlere Steigung liegt bei 10%, da muss das ganz grosse Ritzel ran. Aber: OHM! (wie Lasse sagen wuerde). Wieder unten, kann ich mir die Huehnersuppe von gestern aufwaermen, lecker!

    Und es kommt?... ...das Biest! Der Mont Ventoux ist auf den ersten Kilometern dreckssteil. Ich habe Mordsrespekt vor den 1560 Hoehenmetern und duedel langsam vor mich hin. Wieder einmal ueberholen Grauhaarige. 2 Jungs fliegen vorbei, dass ich vom Windstoss fast umfalle. Spaeter sehe ich, dass das belgische Lotto-Team hier trainiert. 6 km vor dem Gipfel sind noch immer 600 Hoehenmeter uebrig und hier in Mont Serein verladen einige der Ueberholer ihre Fahrraeder.

    So laeufts also und ich fuehle mich wieder besser. Bisher hat die Steigung oft gewechselt, was mir eigentlich entgegenkam. Jetzt gehts nur noch rauf. 2,5 km vor dem Ziel hoeren die duftenden Kiefern auf und man steht vor einer senkrechten Geroellwand. Oben das nach Mega-Minarett aussehende Observatorium.


    Fingen die anderen Anstiege alle irgendwie an und gingen dann in einen stetigen Anstieg ueber, hat das naechste Ding einfach einen Knick. Gerade noch radelst du durch die Ebene, dann geht es klonker! mit satt 12% auffi. Zum Glueck hatte ich mir L´ Alpe d´ Huez vorher angesehen. Im Wiegetritt habe ich endlich meinen Rhytmus gefunden. In jeder Serpentine schalte ich und fahre im Stehen weiter. Dazu trinke ich in jeder 2. Serpentine. Das klappt richtig gut. Tut lang nicht so weh wie der Ventoux, obwohl es permanent heftig steil ist. Wieder treffe ich andere Radfahrer, mit denen ich mich auf Anhieb verstehe. Bei den "Fourwheelern" suchen wir sowas bisher vergeblich. Radfahrer sind doch irgendwie wie Crosser. Nett, in sich ruhend, und mit Respekt vor der Leistung des Anderen. Schoen.

    Der vorerst letzte ist der Col du Galibier, der ueber den Col du Lautaret angefahren wird. Respekt habe ich nur vor der absoluten Hoehe von 2642 m, passieren mir doch ueber 1600 m immer ungewohnte Sachen. Hier aber ist alles prima. Ich fahre einen Gang hoeher als sonst. Der Ruhetag gestern mit einem ausgedehnten Spaziergang scheint genau das Richtige gewesen zu sein. Dazu ist der Galibier recht gleichmaessig steil und ohne fiese Zinken. Zwischendurch bekomme ich Seitenstiche, doch eine Auswirkung der duennen Luft. Gehen aber auch wieder weg. Nach 3 Stunden bin ich wieder unten und kann mir noch das Peloton der "Le Dauphine" ansehen. So, und nun sind wir bald in Deutschland. Auch wieder ein grosses Abenteuer... Bis bald. Diesmal in echt. Lasse, Nike und Zopfi


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